Am Sonntag, den 21. Februar 2010, wurde der 25. Friedensfilmpreis der Berlinale dem Film „Son Of Babylon“ von Mohamed Al-Daradji verliehen. Die Jury zeichnete damit die Geschichte einer Reise über Schuld, Wahrheit, Reue, Vergebung und die Stärke der Großmütter dieser Welt aus. Am Rande der Preisverleihung sprachen wir mit dem irakischen Regisseur über die Entstehung seines Films, die Herausforderungen beim Dreh im Irak und die Überwindung von Grenzen der Sprache.
Herzlichen Glückwunsch zum Friedensfilmpreis, Herr Al-Daradji!
Die Schauspieler/innen in Ihrem Film sind ausschließlich Laiendarsteller/innen. Wie haben Sie diese ausgewählt und wo haben Sie sie entdeckt?
Al-Daradji: Ich habe sechs Monate für das Casting gebraucht, da ich keine Profis haben wollte. Ich fuhr in mehrere Dörfer im Norden Iraks. Ich suchte zunächst eine Darstellerin für die Rolle der Großmutter, die Kurdisch sprechen sollte. Ich ging in ein Dorf, das vom Saddam-Regime zerstört worden war und in dem jeder Haushalt Angehörige unter der Regierung Saddam Husseins verloren hatte. Ich klopfte einfach an die Türen. Eine Frau öffnete mir und erzählte ihre Geschichte. Sie weinte, ich weinte, aber ich ging weiter, weil ich noch mehr Leute kennen lernen wollte. So kam ich zu einer weiteren Frau. Auch sie begann, ihre Geschichte zu erzählen. Aber sie weinte nicht. Ihre Augen zeigten mir ihre Trauer ohne jegliche physische Reaktion. Da war mir klar, dass dies meine Darstellerin werden könnte.
In einem nahen Dorf traf ich kurz darauf den Jungen. Er sprach Arabisch und Kurdisch, was für die Rolle sehr wichtig war. Ich sah ihn am Straßenrand sitzen und fragte, ob er Arabisch spreche. Er antwortete mit „Ja“. Daraufhin sprach ich mit seiner Familie und wir machten ein Casting und einen zweiwöchigen Workshop mit ihm. Danach wusste ich, dass der Junge und die Großmutter gut zu einander passen würden. Innerhalb von drei Monaten haben wir sie auf die Rollen vorbereitet.
Während der Dreharbeiten mussten die ausländischen Crewmitglieder das Team aufgrund der Sicherheitslage im Land verlassen. Wie hat dies die Produktion beeinflusst?
Al-Daradji: Das hat die Produktion sehr stark beeinflusst. Ich hatte ein britisches und ein französisches Team. Bevor wir mit dem Dreh anfingen, fuhren wir in den Norden Iraks, wo wir die Workshops durchgeführten. Für die ersten Minuten des Films mussten wir aber noch mal zurück nach Bagdad und ich wusste, dass es dort für das britische Team zu gefährlich sein wird. Wir dachten, dass wenigstens das französische Team weiter arbeiten könnte. Aber als wir in Bagdad ankamen, sagte die französische Botschaft, dass die Lage zu gefährlich für die Kollegen sei und dass sie das Land verlassen müssten. Das hat mich zu dem Zeitpunkt wirklich geschockt. Aber ich entschied mich dafür mit meinem irakischen Team weiterzumachen. Gott sei Dank haben uns die Workshops vorher sehr geholfen. Diese Vorfälle haben die Produktion sehr beeinflusst und brachten viele Schwierigkeiten mit sich, aber gleichzeitig haben sie mich darin bestärkt weiterzumachen und den Film fertig zu drehen. Damit habe ich bewiesen, dass man auch im Irak einen Film mit einer irakischen Crew drehen kann.
Sprache spielt in Ihrem Film eine sehr wichtige Rolle. Sie sind im Irak, in Bagdad geboren, haben aber auch in den Niederlanden und in Großbritannien gelebt. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Sie haben selbst viele Erfahrungen gemacht, nicht in ihrer Muttersprache sprechen zu können. Was bedeutet Sprache für Sie?
Al-Daradji: Sprache hat für mich eine sehr große Bedeutung. Als ich in die Niederlande kam, sprach ich kein Wort Niederländisch. Es war sehr schwierig für mich diese Sprache zu lernen, aber ich habe es geschafft. Wenn man die Herzen der Menschen erreichen möchte, muss man ihre Sprache sprechen. Für mich ist das die Sprache der Menschlichkeit. Das ist für mich die viel wichtigere Sprache. Ich habe versucht dies in meinem Film zu zeigen. Wenn wir unterschiedliche Sprachen sprechen, bedeutet dies nicht, dass wir anders sind. Am Ende sind wir doch alle Menschen.
Es gibt ein bekanntes arabisches Sprichwort, das sagt, „Wenn sie nicht deine Brüder in der Religion sind, dann sind sie deine Brüder in der Menschlichkeit.“ Das war eine wichtige Grundlage für den Film. Deshalb lies ich die kurdische Großmutter auch über Bagdad in den Süden des Landes reisen. Sie trifft dabei auf Menschen, die andere Sprachen sprechen, aber diese Menschen teilen das gleiche Leid und die gleiche Menschlichkeit. Ich habe die Grenzen der Sprache in meinem Film überschritten und nicht zu einem Problem gemacht.
Es war wirklich harte Arbeit für Sie, diesen Film zu machen. Was bedeutet Ihnen der Friedensfilmpreis der Berlinale?
Al-Daradji: Das bedeutet mir sehr viel. Ich bin stolz auf diese Auszeichnung, weil dieser Friedensfilmpreis eine bedeutende Auszeichnung ist. Bedeutend aber auch für die Menschen in meinem Land und für die Geschichte des Iraks. Ich danke der Jury, dass sie mir dieses Vertrauen entgegenbringt. Es ehrt mich und alle Menschen, die an diesem Film mitgearbeitet haben.
Der Preis ermutigt mich gleichzeitig, meine Landsleute weiter zu unterstützen, vor allem im Zusammenhang mit der “Iraqi Missing Campaign”, die ich initiiert habe. Mit dieser Kampagne versuche ich den Opfern zu helfen, die immer noch keine Antwort auf die Frage nach dem Verbleib ihrer Angehörigen haben. Ich hoffe, dass ich mit dieser Auszeichnung und der “Iraqi Missing Campaign” die Möglichkeit habe, diesen Menschen eine Antwort zu geben, auf die sie schon so lange warten.
Herr Al-Daradji, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weiteren Projekte.
Das Interview führte Renko Recke.